DIE GESCHICHTE DER STADTGARDE
von Prof.  Dr. Paul Sauer

Dass bewaffnete Untertanen zu Pferd bei militärischen Konflikten dem Landesherrn Dienste leisteten, dass diese aber auch dem fürstlichen Haus bei bedeutsamen Anlässen, so bei Hochzeiten, Empfängen, Leichenbegängnissen, die erwarteten „Honneurs“ erwiesen, war in Württemberg und insbesondere in Stuttgart bereits im 16. Jahrhundert üblich. In der herzoglichen Haupt- und Residenzstadt gab es genügend wohlhabende Einwohner, die Reitpferde besaßen und sich breitwillig als schmucke Reiter dem Landesherrn zur Verfügung stellten, wann immer er ihrer bedurfte.

Noch Jahre nach dem Dreißigjährigen Krieg, der Württemberg grausam verheert und es eines Großteils seiner Einwohner beraubt hatte, ließ die öffentliche Sicherheit vor allem in ländlichen Gebieten sehr zu wünschen übrig. Stadt und Amt Stuttgart errichteten deshalb drei Kompanien zu Fuß und eine Kompanie zu Pferd. Die Reiterkompanie umfasste nach der „Musterrolle“ vom 22. März 1652 einschließlich der Offiziere und Unteroffiziere 80 Mann, von denen die Stadt 40 Mann mit einem Kapitänleutnant (stellvertretender Kompaniechef) gestellt hatte. Sie sorgte für Ruhe und Sicherheit und war daher schon bald für Stadt und Amt unentbehrlich. Zudem erwies sie Herzog Eberhard III. bei wichtigen Ereignissen die gewünschte Reverenz. Kein Wunder, wenn der Herzog mit den freiwilligen Reitern sehr zufrieden war. 1672 gestattete er dem Kommandeur seiner Leibgarde, Oberstleutnant von Eyb, die Leitung der Kompanie zu übernehmen. Auch behielt er sich persönlich die Musterung der Truppe vor.



Reiter der Stadtgarde zu Pferd Stuttgart 1652 e.V.



Dass den freiwilligen Reitern die Personalfreiheit eingeräumt war, missfiel der städtischen Obrigkeit. Sie setzte beim Herzog aber lediglich durch, dass die Reiter zu den Torwachen herangezogen werden konnten, im übrigen wurde ihnen ihre Personalfreiheit uneingeschränkt bestätigt.

Ende 1688 hatte die Kompanie zu Pferd ihren ersten Kriegseinsatz zu bestehen; sie schlug sich mannhaft im Kampf gegen die ins Land eingedrungenen Franzosen. Im folgenden Jahr wurde die vom Amt gestellte halbe Kompanie einem Dragonerregiment eingegliedert. Die andere halbe Kompanie, die ausschließlich Stuttgarter Bürger in ihren Reihen zählte, bildete fortan ein eigenständiges, mit einer neuen Uniform ausgestattetes Korps. Diese umfasste im Mai 1691 einschließlich der Offiziere 52 Mann. In den 1690er Jahren wurden die nunmehrigen Stadtreiter immer wieder bei Abwehrkämpfen gegen französische Truppen – häufig auch weit außerhalb Stuttgarts – und ebenso im Kleinkrieg gegen Marodeure verwendet. Auch während des Spanischen Erbfolgekrieges (1701 – 1713/14) war das Korps stark gefordert. Es hatte Ordonanzritte durchzuführen, militärische Transporte zu sichern, Marodeure und lichtscheues Gesindel zu bekämpfen bzw. unschädlich zu machen.

Nachdem 1710/11 die Gefahr feindlicher Einfälle endgültig gebannt war, verlangte der Stuttgarter Magistrat wegen der die Stadt beschwerenden finanziellen Lasten die Auflösung des Korps, fand aber beim Herzog kein Gehör. Im Gegenteil, Herzog Eberhard Ludwig erließ 1711 ein erstes Reglement, das den Bestand des Korps auf Dauer gewährleisten sollte. Ende 1716 erreichte der Magistrat mit seinen fortwährenden Beschwerden die Abschaffung der Truppe – freilich nur für vier Monate. Eberhard Ludwig hatte schnell erkannt, dass er eine Fehlentscheidung getroffen hatte.

Die Stadtreiter nahmen am Hof wichtige repräsentative Funktionen wahr. Auch versahen sie den Dienst der herzoglichen Leibwache, wenn der Landesherr diese außerhalb seiner Haupt- und Residenzstadt benötigte. Daneben wurden sie bei Bedarf mit häufig wenig angenehmen Polizeiaufgaben betraut. So hatten sie bei den damals vielen öffentlichen Hinrichtungen, zu denen Schaulustige in großer Zahl zusammenströmten, für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung zu sorgen. Bei Feuersbrünsten mussten sie die Brandstätte sichern und gefährdetes Eigentum vor Dieben schützen.



Im Lauf des 18. Jahrhunderts rückte der Magistrat von seinen Vorbehalten gegenüber den Stadtreitern ab. Er gab jetzt zu, dass die Stadt in erheblichem Maß von der kleinen Truppe profitierte. Beispielsweise konnte er, wenn es galt, den Landesherrn und seine Familie oder aber in Stuttgart zu Besuch weilende fremde Fürstlichkeiten in gebührender Weise zu ehren, auf das militärisch organisierte, ansprechend uniformierte und im Umgang mit Pferden geschulte Korps zurückgreifen. Auch drängten sich nunmehr Angehörige des Magistrats zur Übernahme frei werdender leitender Funktionen bei den Stadtreitern, und sie zeigten sich stolz in der Uniform des Korps in der Öffentlichkeit.
Hohes Lob zollten die Herzöge Ludwig Eugen (1793 – 1795) und Friedrich Eugen (1795 – 1797) den Stadtreitern, weil diese in den unruhigen 1790er Jahren, als die Heere des revolutionären Frankreich Württemberg bedrohten und zeitweilig auch besetzten, während der Abwesenheit der regulären Truppen in der Stadt militärische Präsenz zeigten. In gleicher Weise erwarben sie sich auch die Gunst König Friedrichs (1797 – 1816). Der Monarch schätzte ihre Dienste sehr. Privilegien.


Er nahm sie deshalb von der allgemeinen Volksentwaffnung und der rigorosen Auflösung der Bürgermilizen aus, die er 1809 aus Furcht vor revolutionären Umtrieben vor allem in den neuwürttembergischen Gebieten verfügt hatte, und er gewährte ihnen darüber hinaus noch  Sein Sohn und Nachfolger, König Wilhelm I. (1816 – 1864), der sich 1819 mit den Landständen auf einen Verfassungsvertrag geeinigt hatte, ließ nicht nur bewaffnete Garden und Wehren wieder zu, sondern er förderte zudem die Neu- und Wiedergründung solcher wehrhaften bürgerlichen Korps. Gerne gestattete er, dass ihm die Stuttgarter Stadtreiter alljährlich beim Ritt zu dem von ihm 1818 ins Leben gerufenen Cannstatter Volksfest das Geleit gaben und auf dem Festgelände gemeinsam mit dem Cannstatter Schützenkorps den Schutz des Festgeländes und insbesondere den der königlichen Tribüne übernahmen.
1857 oblag es der Stuttgarter Stadtgarde zu Pferd, wie das Stadtreiterkorps seit den 1830er Jahren offiziell hieß, neben König Wilhelm I. und seiner Familie auch Zar Alexander II. von Russland und Kaiser Napoleon III. von Frankreich sowie deren Begleitung das ehrenvolle Geleit zum Cannstatter Volksfest zu geben.


Stuttgarter Bürgergarden vor dem Katharinenhospital um 1830. In der Mitte und Zweiter von rechts Stuttgarter Stadtreiter in der damaligen Uniform. Die beiden Gardisten links und ganz rechts gehören zu der Stuttgarter Bürgergarde.


Als es Anfang Mai 1847 wegen des bedrohlichen Ausmaße annehmenden Mangels an den Grundnahrungsmitteln und wegen der rapide anwachsenden Teuerung in Stuttgart wie in etlichen anderen Städten des Königreichs zu sogenannten Brotkravallen kam, war es vornehmlich dem besonnenen Verhalten der Stadtgarde zu Pferd zu verdanken, dass in der Landeshauptstadt eine Eskalation der Unruhen vermieden werden konnte. Während der Revolution von 1848/49 wurde die Stadtgarde als berittenes Korps in die neu errichtete Stuttgarter Bürgerwehr eingegliedert. Doch erlangte sie Anfang der 1850er Jahre nach der Auflösung der kurzlebigen, militärisch untauglichen Volkswehr ihre Eigenständigkeit zurück. Ihr Bestreben war weiterhin darauf gerichtet, bei repräsentativen Anlässen im Königshaus wie bei wichtigen Ereignissen in der Stadt präsent zu sein. Dies trug ihr hohe Anerkennung namentlich durch den Monarchen ein. Bei der Eröffnung der Ständeversammlung des Landtags am 12. Juli 1864 durch König Karl (1864 – 1891), der zwei Wochen zuvor den Thron bestiegen hatte, stellte sie im Ständehaus die traditionelle Ehrenwache. 1865 verlieh König Karl dem württembergischen Heer neue zeitgemäße Uniformen. Dies veranlasste die Stadtgarde, die damals wie auch schon früher hauptsächlich Handwerker und Kaufleute zu ihren Mitgliedern zählte, sich mit Zustimmung des Monarchen gleichfalls neu einzukleiden. Die schmucken Uniformen fanden allgemein Anklang. Das Korps trägt sie noch heute.

Die Bindung der Stadtgarde an das Königshaus verstärkte sich unter dem volkstümlichen König Wilhelm II., „Württembergs geliebtem Herrn“, noch. Wilhelm II., ein leidenschaftlicher und ungewöhnlich talentierter Reiter und Pferdeliebhaber, hatte Freude an der kleinen Truppe und unterstützte ihre Aktivitäten. Dass König Wilhelm II. durch den revolutionären Umsturz am Ende des verlorenen Ersten Weltkriegs dem Thron seiner Väter entsagen musste, empfanden die Mitglieder des Korps als tief schmerzlich. Im Oktober 1921 gab die Stadtgarde dem nach kurzer schwerer Krankheit Verstorbenen bei der Beisetzung auf dem Alten Friedhof in Ludwigsburg das letzte Geleit.

Auch in den Jahren der Weimarer Republik (1919 – 1933) und des totalitären NS-Regimes (1933 – 1945) bewahrte sich die Stadtgarde trotz mancher Schwierigkeiten ihre Eigenständigkeit. Der Stadt leistete sie bei bedeutsamen Anlässen, beispielsweise beim Volksfest, bei Ausstellungen usw., willkommene Dienste. Die schon vor dem Ersten Weltkrieg geknüpften Kontakte zu anderen Garden und Wehren des Landes intensivierte sie. Rittmeister Gottlob Zeltwanger wurde zum ersten Landeskommandanten des 1934 gegründeten „Verbands der Stadtgarden und Bürgerwehren in Württemberg“ gewählt.



Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sich das Korps erst 1950 neu organisieren. Gottlob Zeltwanger, nachhaltig unterstützt von den Mitgliedern, erwarb sich in den fünfziger Jahren als Chef der Stadtgarde und als Ehrenlandeskommandant des auf Hohenzollern ausgedehnten württembergischen Landesverbands um den Wiederaufbau der historischen Garden und Wehren große Verdienste.



Weltreiterspiele in Silvásvarod – Ungarn

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entfaltete die Stadtgarde eine Vielzahl von Aktivitäten. Sie übernahm bereitwillig Ehrendienste im Auftrag der Stadt, so bei Feiern am Volkstrauertag oder beim Volksfest, und arbeitete engagiert im Landesverband der Garden und Wehren von Württemberg-Hohenzollern mit; darüber hinaus bemühte sie sich auch mit beachtlichem Erfolg um freundschaftliche Beziehungen zu ausländischen Traditionsverbänden. 1987 nahm sie an der Steubenparade in New York teil, 1995 am „Tatoo by horse“ (Musikparade) der Königlich Schwedischen Leibgarde zu Pferd in Stockholm teil.

1997 folgten Abordnungen des Korps, nachdem dieses der „Union der Europäischen Wehrhistorischen Gruppen“ beigetreten war, Einladungen zur 850-Jahrfeier von Moskau und 1998 zu den Festlichkeiten anlässlich des ungarischen Nationalfeiertags in Budapest. Im Jahr 2000 beteiligte sich die 30 aktive Reiter und Reiterinnen sowie 40 passive Mitglieder umfassende Stadtgarde als offizielle Vertreterin Deutschlands an den Zweiten Weltreiterspielen in Szilvásvárad in Ungarn.

Prof. Dr. Paul Sauer



Die Stadtgarde zu Pferd beim Großen Festzug der Württemberger aus Anlass des 25. Regierungsjubiläums von König Wilhelm I. im September 1841

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